Es regnet schon wieder. Gefühlt schon seit Wochen. Ich fühle mich wie in einer englischen Serie, wo es auch immer regnet und der Himmel »zinkgrau« ist. Hab sogar angefangen nach Tee zu klingeln, aber keiner bringt mir Tee, geschweige denn die anderen Sachen, die da noch so dabei sind. Scones mit clotted Cream, Gurken Toasts, kleine Kuchen. Nichts davon. Nicht mal ein trockener Keks. Also hole ich mir ein Glas Weißwein. Ist eh besser bei dem Regen. Außerdem regional, was ja auch so wichtig geworden ist. Gleich fühle ich mich besser deswegen. Tee wäre ja importiert, jedenfalls der, den sie in England immer trinken. Also eigentlich nicht vertretbar. Gut, ich hätte Brennesseltee trinken können. Der ist nicht nur regional, sondern sogar saisonal. Aber ich glaube mit dem Weißwein fühle ich mich trotzdem besser. Das merk ich schon jetzt.
Der Regen macht Pause. Jetzt könnte ich schnell mal rausgehen. Mir edle Gummistiefel anziehen, wie die englischen Tierärzte und an die frische Luft gehen zum »Waldbaden« oder »Shinrin Yoku«. So heisst das in Japan. Dazu gibt es umfangreiche Anleitungen im Netz, viele Filme bei Youtube und Fachbücher. Man kann sich sogar ausbilden lassen, damit man Menschen das »Waldbaden« beibringen kann. Die Zeiten, wo sich jeder einfach so zum Spaß im Wald herumtreiben kann sind vorbei! Das erfordert jetzt viel Bewusstsein und Achtsamkeit und das wiederum setzt Konzentration, Disziplin und die richtige Atemtechnik voraus. Da ich all das nicht vorweisen kann und auch keine edlen Gummistiefel habe, bleibe ich daheim und trinke noch einen Weißwein.
Am Himmel sind jetzt ein paar blaue Flecken entstanden. Dort oben ist das ein erfreulicher Anblick, aber nicht überall sorgen blaue Flecken für Freude. Ich hatte immer viele davon, schon als Kind. Eine »Neigung«, sagte die Kinderärztin, die sehr klein war und eine braune Außenwelle trug, die immer perfekt am Kopf lag.
Die blauen Flecken lassen hoffen. Vielleicht regnet es morgen nicht. Dann könnte ich einen Ausritt machen. Mein Pferd Homer satteln lassen und durch die sattgrüne Landschaft traben. Der Gedanke beflügelt mich. Ich rieche schon den warmen Pferdegeruch, höre das Knautschen des Sattels unter meinem Hintern und fühle den leichten Druck der weichen Stiefel an meinen schlanken Waden, während der Wind mir einzelne Haarsträhnen aus dem Knoten löst.
Ich klingle, um meinen morgigen Ausritt vorzubereiten. Das Personal sollte Bescheid wissen. Außerdem muss mein Glas nachgefüllt werden. Draussen singt jetzt die Amsel voller Übermut in den Abend hinein. Das Personal kommt nicht, ich muss mein Glas selber füllen und wahrscheinlich sogar meine Reitkleidung selber rauslegen. Aber erstmal kommt der Abend, der Himmel und das Zimmer werden langsam dunkel.
Im April 2024